Als Rebecca Becker den Anruf entgegennahm, war sie bereits sonnenverwöhnt und lächelte. Irgendwo im Süden, in einem Wohnmobil, geparkt unter einem Himmel so leuchtend blau, dass er fast unecht wirkte. Sie trug ein T-Shirt, ganz entspannt, als wäre es Hochsommer. Dabei war es März.
Ich hingegen saß in Köln. Das Fenster vor mir zeigte die resignierte Trägheit des deutschen Frühlings—nasser Beton, kahle Bäume, schiefergrauer Himmel. Und mein Kaffee war wieder einmal kalt.
So fing es an.
Ich hatte Rebecca nicht zu einem aalglatten PR-Gespräch eingeladen. Ich wollte verstehen, wie eine halb verrückte, halb geniale Idee wie Dachzeltnomaden—Deutschlands rollende Zelt-Community—zu einer ausgewachsenen Subkultur werden konnte. Ich wollte hören, wie sie und ihr Co-Direktor Thilo Vogel aus einer Facebook-Gruppe eine Bewegung machten, wie daraus ein Geschäftsmodell wurde—und wie man den Schwung aufrechterhält, wenn einem der Gegenwind ins Gesicht peitscht.
Aber vor allem wollte ich ein authentisches Gespräch.
Und das bekam ich auch.
Rebecca—der Funke, der andere mitreißt
Man hat nicht das Gefühl, dass Rebecca je vorhatte, etwas zu leiten. Sie klingt eher wie jemand, der zu einer Idee spontan “ja” sagt—und später merkt, dass diese Idee längst ein Eigenleben entwickelt hat. Und jetzt hält sie sich am Schwanz fest und versucht zu lenken.
Sie stieß früh zu den Dachzeltnomaden, als es außer Thilo nur ein paar liebenswert schräge Leute mit Zelten auf dem Dach und Dreck an den Stiefeln gab. Damals war es noch keine Bewegung. Nicht einmal ein Plan. Nur eine Frage, die Thilo ins Internet warf: Gibt’s da draußen noch mehr wie mich?
Die Antwort? Ja. Sogar jede Menge.
Das erste Treffen—es wurde als Europas erstes Dachzelt-Gathering bekannt—war kaum organisiert, kaum finanziert, aber auf eine seltsame Weise unvergesslich. Rebecca half mit, zog die Fäden, übernahm Social Media, kümmerte sich um die Logistik. Und spätestens 2018 war sie voll dabei.
Nicht als Angestellte. Nicht einmal als offizielle Partnerin. Sie war einfach jemand, der immer wieder auftauchte.
Heute ist sie einer der beiden Köpfe hinter dem Projekt, das Festivals veranstaltet, semi-permanente Zeltdörfer baut und zigtausende Mitglieder über diverse Plattformen koordiniert—ohne dabei das Lagerfeuer-Gefühl aus den Augen zu verlieren. Ein solches Wachstum geschieht nicht zufällig—und sicher auch nicht ohne ein paar Durchhänger.
„Warum nicht?”—Die Entstehung der Dachzeltnomaden
Manche bauen eine Community. Andere stolpern mitten hinein.
2017 suchte Thilo weder Follower noch Einnahmen. Er wollte einfach nur wissen, ob er der Einzige ist. Dachzelte waren damals noch ein Nischenphänomen—auf Landys montiert, an alte Toyotas geschraubt, wie Möwennester auf schlammigen Vans. Irgendwo zwischen Camping und Overlanding. Aber definitiv etwas.
Also tat er, was man eben tut: Er gründete eine Facebook-Gruppe und fragte in die digitale Leere—ob noch jemand da draußen sein “Zelt aufs Dach schnallt” und es Freiheit nennt.
Die Resonanz war überwältigend.
Was folgte, war kein Geschäftsmodell. Es war ein Treffen. Ein Lebenszeichen. Menschen kamen zusammen, tranken Bier, tauschten Ideen aus, verglichen Zelte—und versuchten, nachts nicht von der Leiter zu fallen. Es war chaotisch. Und es funktionierte.
Und Rebecca war mittendrin—organisierte, improvisierte, hielt alles mit Gaffa-Tape und Bauchgefühl zusammen. Spätestens 2018 war sie unübersehbar Teil des Kerns.
Es gab kein Büro. Keinen Businessplan. Nur zwei Menschen, eine wachsende Meute—und das Gefühl, dass hier etwas Größeres entstanden war. Aus einem gemeinsamen Interesse wurde rasch eine gemeinsame Identität.
Mehr als nur Zelte: Vom Treffen zum Ökosystem
Irgendwann hörte es auf, ein Wochenendprojekt zu sein.
Heute ist es ein funktionierendes Ökosystem.
Die Zahlen sind variabel, aber beeindruckend: Über 50.000 Mitglieder in der Facebook-Gruppe. Mehr als 70.000 auf Instagram, YouTube, in WhatsApp-Gruppen. Events mit bis zu 2.000 Teilnehmern, die sich irgendwo auf einer Wiese treffen, um über Zelte, Ausrüstung und Fahrzeuge zu reden.
Aber es geht längst nicht mehr nur um Events. Es geht um Infrastruktur.
Ein festes Team aus fünf Vollzeitkräften—plus Rebecca und Thilo—hält den Laden am Laufen. Und rund 20 Ehrenamtliche packen bei den Camps mit an. Sie managen Social Media, verhandeln mit Campingplätzen, kümmern sich um Technik, Sponsoren, Website—und finden irgendwie immer noch Zeit, Neulingen Fragen zu Dachlasten und Leiterlängen zu beantworten.
Und dann sind da noch die Dachzeltdörfer. Stell dir Baumhäuser ohne Bäume vor. Feste Holzplattformen mit festverschraubten Dachzelten. In Wäldern, auf Maisfeldern, auf schwimmenden Pontons in kleinen Seen. Sogar in den Dünen von Amrum, wo Autos nicht hinkommen, warten ein paar Zelte—geheime Verstecke für Erwachsene, die nie aufgehört haben, draußen zu spielen.
Das sind keine Gimmicks. Es sind Testlabore. Bevor du €3.000 für ein Dachzelt ausgibst, kannst du eine Nacht zur Probe schlafen—bring die Familie mit, entspann dich bei einem Bier am Lagerfeuer und teste, ob deine Wirbelsäule dir Schlafmatte verträgt. Fühlt es sich gut an? Dann lohnt sich die Investition. Wie sich herausstellte, kam das bei vielen Leuten gut an.
Und weil wir immer noch in Deutschland sind—mit Franchise-System, klaren Verträgen, standardisierten Abläufen. Klug gemacht. Funktioniert.
Spanner, Sponsoren & Spaghetti-Logistik
Frag mal jemanden, der versucht hat, eine Community zu skalieren—irgendwann wird Leidenschaft zur Excel-Tabelle. Und das geschieht selten schmerzfrei.
Rebecca und Thilo machten es, wie alle Überzeugungstäter: zu viel auf einmal. In einem Jahr veranstalteten sie zehn Events. Zehn! Fünf davon komplett ohne Einnahmen—einfach aus Prinzip. Weil’s halt dazugehört.
Nebenbei betrieben sie die Website, Social Media, die Zeltdörfer. Sie schliefen in Vans. Lebten zwischen Lagerfeuer und Login. Irgendwie haben sie einen Burnout vermieden.
Aber sie waren nahe dran.
Ironischerweise war Corona ihr Rettungsring: Keine Events. Keine Reisen. Nur Zeit. Endlich.
“Wir haben vorher rund um die Uhr gearbeitet,” sagt Rebecca. “Das war krank. Jetzt haben wir die 35-Stunden-Woche. Work-Life-Balance ist real.”
Und das merkt man.
Mit dem Zwang kam Klarheit. Sie strukturierten um. Diversifizierten die Einnahmen. Gossen die Dachzeltdörfer in ein stabiles Franchise-Modell. Reduzierten, was ausuferte. Ohne die Seele zu verlieren.
Heute läuft der Laden immer noch chaotisch—aber besser organisiert. Mit Verträgen, mit Versicherungen, mit genügend Toiletten für 2.000 Menschen und mit einer Wasserrutsche.
Sponsoren? Ja, klar. Aber kein Branding-Overkill. Hersteller dürfen Anzeigen schalten. Aber in den Communitys selbst? Keine Werbung. Null Toleranz für Spam. Selbst die Hersteller wissen: Wer wissen will, wie gut sein Produkt ankommt, liest besser still mit.
Italien, Sichtbarkeit & das, was kommt
Dachzeltnomaden ist längst kein rein deutsches Ding mehr.
Events gab’s schon in der Schweiz, in Österreich, in Holland. Und jetzt zum ersten Mal in Italien—nicht als Gast, sondern als Co-Veranstalter. Gemeinsam mit der italienischen Dachzelt-Community.
90% der Tickets gingen bisher an Deutsche. Aber das Ziel war ein anderes: Kein deutsches Exportprodukt, sondern eine echte Zusammenarbeit. Und das zählt.
“Wir wollten nicht die lauten Deutschen sein, die alles überrollen,” sagt Rebecca. “Also haben wir gefragt. Und sie haben Ja gesagt.
Parallel dazu: der Push in Richtung Sichtbarkeit. Nach dem Relaunch der Website geht’s jetzt um SEO. Nicht das plumpe Clickbait-Zeug—sondern Inhalte, die ranken, weil sie gut sind. Weil sie echte Fragen beantworten.
“Ich will, dass man uns findet, weil wir etwas zu sagen haben,” sagt Rebecca.
Geplant sind YouTube-Formate, DIY-Videos, Gear-Tutorials. Selbst KI steht auf dem Zettel—nicht zum Prahlen, sondern zum Strukturieren des gesammelten Wissens aus Jahren echter Erfahrung.
Denn unterm Strich geht es bei ihnen nie nur ums Zelt. Es geht um Haltung. Neugier. Austausch statt Reichweite.
Sie bauen keine Plattform. Sie bauen Kultur.
Das große Camp im Mai
Wenn du verstehen willst, was die Dachzeltnomaden wirklich ausmacht—dann scrolle nicht weiter. Fahr hin.

Vom 22. bis 25. Mai findet das große Festival statt. 2.000 Menschen. Eine riesige Zeltfläche. Und kein einziger langweiliger Fleck. Da kommen Vans, Trucks, Familien, Solo-Reisende, Selbstausbauer, Instagram-Aussteiger, schlammige Hunde, lebhafte Kinder—und Leute mit einem Bier in der einen Hand und einem Schraubenschlüssel in der anderen.
Es nennt sich Dachzeltnomaden-Festival. Aber das ist eine Untertreibung.
Workshops, Vorträge, eine Händlermeile mit Zelten, Zubehör und Dingen, von denen du noch nicht wusstest, dass du sie brauchst. Nicht nur Bratwurst und Fritten—sondern Foodtrucks mit echtem Geschmack. Kinderbereich, Wasserrutsche, Lagerfeuer. Und eine kreative Ecke, wo roher Honig neben handgeschmiedeten Messern verkauft wird.
Und ja—Toiletten. Richtige. Sogar mit Duschen.
Du brauchst kein Dachzelt. Keinen Van. Nicht einmal ein Zelt. Nur ein bisschen Offenheit.
Rebecca nennt es ein Familientreffen von Leuten, die sich noch nie gesehen haben.
Und sie hat recht.
Denn bei den Dachzeltnomaden geht es nicht um Zelte. Ging es nie. Es geht darum, was passiert, wenn du aus deinem Alltag ausbrichst—und auf andere triffst, die dasselbe tun.
Die Technik wird sich ändern. Die Plattformen auch. Selbst SEO kommt und geht.
Aber dieses Gefühl—unter Fremden zu stehen, die sich wie Freunde anfühlen?
Das bleibt. Und genau deshalb wird diese Community auch dann noch da sein, wenn der nächste große Campingtrend längst wieder verschwunden ist.

