Als ich mich dem Grenadier (ausnahmsweise von der Fahrerseite aus) nähere, werfen seine kantige Silhouette und die flache Windschutzscheibe einen vertrauten Schatten auf den Boden. Ich klettere ins Cockpit und lasse mich auf dem Fahrersitz nieder, dabei bleibt mein Blick kurz an den flachen vorderen Kotflügeln und der erhabenen Motorhaube hängen. Ein Déjà-vu? Wir werden sehen.
Das Fahrzeug, das ich heute teste, ist noch ein Prototyp, aber es kommt dem, was später im Jahr in Hambach, Frankreich, vom Band laufen wird, ziemlich nahe.
ZUTATEN
Bevor wir uns in die Arbeit stürzen, eine kurze Zusammenfassung: Als die Produktion des ursprünglichen Defender im Jahr 2016 eingestellt wurde, sah Sir Jim Ratcliffe, CEO von INEOS und seines Zeichens Abenteurer, eine Lücke im Markt für ein kompromissloses Nutzfahrzeug. In den folgenden fünf Jahren lud Dirk Heilmann, CEO der neu gegründeten INEOS Automotive, Branchenführer ein, an der Entwicklung eines neuen Built-on-Purpose 4×4 mitzuarbeiten.
Zu den wichtigsten Akteuren des Projekts gehören:
- Gestamp – Leiterrahmen-Fahrgestell
- Carraro – Achsen
- BMW – Diesel- und Benzinmotoren
- ZF – 8-Gang-Getriebe
- Tremec – two-speed transfer case delivering permanent all-wheel-drive
- Magna – Überwachung der Entwicklung und Produktion der ersten Prototypen
Die Karosserie ist eine Stahlkonstruktion. Angehängte Paneele wie Dach, Kotflügel und Türen sind aus Aluminium.
ZURÜCK IM COCKPIT
Nachdem ich den Recaro-Sitz manuell eingestellt habe (unnötigen elektronischen Luxus sucht man vergebens), mache ich mich mit diesem neuen Innenraum vertraut, und als erstes fällt mir auf, wie geräumig er ist. Tür und B-Säule drängen sich nicht auf und nehmen dem Fahrer keine Bewegungsfreiheit. Ich sitze mittig hinter dem Lenkrad, unter dem Fenster befindet sich eine bequeme Ablage für meinen linken Ellbogen.
Das für moderne Verhältnisse vergleichsweise flache Armaturenbrett trägt zum großzügigen Raumgefühl bei und ist praktisch ausgelegt: Ein großer Touchscreen in der Mitte versorgt den Fahrer mit wichtigen Informationen. Die Bedienelemente beginnen mit einem großen Wahlrad zwischen den Vordersitzen, um durch die Bildschirmmenüs zu navigieren, ziehen sich durch das Armaturenbrett mit alltäglichen Funktionen wie Warnblinker, Klimaanlage, Audio und enden im Dach, wo Fahrer und Beifahrer einfachen Zugriff auf Offroad-Modi und Zusatzausrüstung haben.
Vom Fahrersitz hat man einen guten Überblick über die Front. Die kantigen Ecken der Kotflügel definieren Breite und Länge des Fahrzeugs. Die großzügigen Außenspiegel bieten eine Sichtlinie entlang der Taille bis zum vertikalen Heck. Kurze Überhänge vorne und hinten sorgen für optimale Böschungswinkel.
Offroad-Modus zuschalten, Untersetzung, zentrale Differentialsperre und D aktivieren—und auf geht’s.
FAHREINDRUCK
In den letzten Tagen hatten andauernde Regenfälle die Region geplagt, sodass der Grenadier nun tiefe Furchen in den Schlamm zog. Trotz BFGoodrich All-Terrains neigte das kraftvolle Drehmoment des BMW-Motors zum Durchdrehen der Räder, und auf dem rutschigen Untergrund fühlte sich die Lenkung besonders leicht an. Dennoch harmonieren Motor und Getriebe perfekt. Die Schaltvorgänge sind seidenweich und das Drehmoment wird kontinuierlich aus dem Keller abgegeben.
Ohne die Option einer komplexen Luftfederung ruht der Grenadier auf progressiven Schraubenfedern, die ihre Aufgabe erfüllen: Sie sorgen für maximale Bodenfreiheit, gewährleisten eine gute Achsverschränkung und halten alle vier Räder für maximale Traktion auf dem Boden.
Es gab Momente, da die optionalen Differentialsperren vorne und hinten auf mancher Steigung von Vorteil gewesen wären. Steile Abfahrten nahm der Grenadier problemlos: ersten Gang mit Untersetzung einlegen, den Wagen über die Kuppe lenken und ihn alles weitere auf seinem sicheren Weg bergab finden lassen.
FAZIT
INEOS’ Ziel war es, einen Hardcore-Geländewagen zu bauen, der in einem professionellen Arbeitsumfeld in seinem Element ist und der die Herausforderungen abgelegener und unwirtlicher Regionen meistert.
Das Ergebnis ist ein modernes, komfortables und geräumiges Nutzfahrzeug, das die Power und Technologie hat, um genau das zu leisten. Ja, er ist ein Arbeitstier, aber es macht auch höllisch viel Spaß, den Grenadier durch anspruchsvolles Gelände zu navigieren.
Hinterlässt der Grenadier nach dieser ersten Begegnung den Eindruck, er besitze das Zeug, die Erwartungen zu erfüllen und die derzeitige Lücke auf dem Nutzfahrzeugmarkt zu schließen? Ja, das tut er.
Hat der Grenadier das Potenzial, ein Kandidat für ambitionierte fahrzeuggestützte Reisen? Nach dieser ersten Erfahrung: Ja, das hat er.
Jetzt müssen wir uns nur noch gedulden, bis im Laufe des Jahres ein kommerzieller Zweisitzer auf den Markt kommt und wir einen längeren, ausführlichen Test auf und abseits der Straße unter realistischen Overlanding-Bedingungen durchführen können.
TECHNISCHE DATEN
Dieselmotor: Reihen-6-Zylinder, 3000 cm³, 186 kW / 250 PS / 500 Nm Benzinmotor: Reihen-6-Zylinder, 3000 cm³, 211 kW / 283 PS / 459 Nm
Nettogewicht: ca. 2.500 kg Bruttogewicht: 3.500 kg
Bodenfreiheit: 264 mm Wattiefe: 800 mm
Zunächst als fünfsitziger Kombi oder zweisitziges Nutzfahrzeug erhältlich.
PREIS
Ab €59.000 (in Deutschland).