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Schmuggelware – Per Anhalter übers Wasser mit 80.000 Kokosnüssen

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Kurz nach meinem 24. Geburtstag bin ich von New York City nach Ohio geflogen, wo ich für 5.000 Dollar mein erstes Motorrad kaufte, eine Honda Shadow ACE 750. Die Idee war, das Land zu erkunden und dabei den Kopf frei zu bekommen, um mein bisheriges Leben neu zu überdenken. Ein Plan, der in mir gleichermaßen freudige Erregung und beklemmende Ängste weckte, also eine sichere Formel für Abenteuer.

Der Plan war, von New York nach Kalifornien fahren, aber das Umherziehen machte regelrecht süchtig. Achtzehn Monate später, als ich in Panama anhielt, hatte ich immer noch nicht genug. Von dort aus ging es durch Schlammlöcher in Guatemala, mit Polizeieskorte durch El Salvador und vorbei an nicaraguanischen Wahllokalen gen Südamerika.

Ich folgte der Panamericana, die Alaska mit Feuerland verbindet, nach Zentralamerika—wo zwischen Yaviza in Panama und Turbo in Kolumbien eine etwa 90 km lange Lücke klafft. Das Terrain wird von bergigem Urwald und Sumpfgebieten beherrscht. Diese ungepflasterte Strecke zwischen den Kontinenten, der berüchtigte Tapón del Darién, war zu jener Zeit Zielscheibe für Verschleppungen, Raubüberfälle und andere Verbrechen.

Um mein Glück nicht herauszufordern, folgte stattdessen dem Panamakanal Richtung Osten bis in die kleine, halb verfallene Hafenstadt Colón am karibischen Meer. Dort fand ich den Panama Canal Yacht Club, ein grün-weißes Gebäude mit angeschlossenem China-Restaurant, wo manche Segelschiffe angeblich kleinere Enduros übers Meer mit nach Cartagena/Kolumbien nahmen. Mein fetter Lowrider wurde jedoch von sämtlichen Seefahrern abgelehnt. Die Verantwortung wiege zu schwer, sagten sie.

Die Suche nach einer Mitfahrgelegenheit kostete mich viel Zeit, bis ich schließlich in Dock Nr. 3 landete—eine kurze, schief-und-krumme Betonplatte und Heimat von Colóns weniger offiziellen Seefahrern. Dort wartete ein ehemaliges kolumbianisches Fischerboot, die Don José, auf den Rücktransport von Gütern aus der Freihandelszone Panama nach Kolumbien. Der Eigner war fett, von Kopf bis Fuß in gefakte Designerklamotten gehüllt und immer bereit, in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Er hatte den Kokosnussöl-Boom früh erkannt und erklärte auf Spanisch, dass er neben seinen zollfreien Aktivitäten einen großen ‘Fischzug’ plane: Er werde sieben Tage auf See verbringen, um von seinem Insulaner-Netzwerk Kokosnüsse einzusammeln.

Also zahlte ich ihm 300 Dollar in bar, traf mich Donnerstagabend mit seiner 10-köpfigen Crew in einer überfüllten Diskothek und freitags schipperten wir los. So erreichten wir das San-Blas-Archipel, eine Anhäufung kleiner weißer Punkte in der Karibik, wo wir den Kuna-Indios Kokosnüsse abkauften. Die Kunafrauen begrüßten uns in ihren traditionellen Molas in kräftigen Farben und fantasievollen Mustern. Sie brachten Jutesäcke voller Kokosnüsse. Die Crew zählte Nuss für Nuss ab—und der Kapitän zahlte jeweils 10 Cent pro Nuss aus: Ich beobachtete, wie er ihnen $2,40…$6,80… $1,70 usw. aushändigte. Eine langsame und mühevolle Plackerei.

Die Männer auf den Boot waren zuerst nur lustlos. Dann, nach 48 Stunden, wendete sich das Blatt und kleine Zerstreuungen vertrieben die Langeweile auf See. Heraus kam eine Tür aus Holz und ersetzte den Kartentisch. Sie versahen eine Angelschnur (ohne Rute) mit Ködern und ich durfte Fische fürs Abendessen fangen. (Die Beilagen hatten immer den Geschmack von Kokos—wen wundert’s?) Sie brachten mir bei, aus Kokosnussschalen kleine Segelboote zu basteln, und hielten mir einen Vortrag über Haie, als ich aus dem angedockten Beiboot ins Wasser sprang. Ich vertraute ihnen.

Auch ihre Geschäfte liefen gut. Sie hatten 80.000 Kokosnüsse aufgenommen, die das ganze Deck füllten und mein Motorrad sowie die in Panama geladene Fracht unter sich begruben.

An einem Freitagmorgen, genau sieben Tage später, erreichten wir wie versprochen die kolumbianische Küste. Selten ist einem das Ausmaß einer Situation sofort bewußt (meist offenbart sich die Erhabenheit und wahre Größe erst im nostalgischen Resümieren). Jedoch weckte der Anblick eines neuen Kontinents nach dieser wahrhaftigen Entdeckungsreise verschüttete Emotionen unserer seefahrenden Vorfahren in mir. So kauerte ich also auf den Kokusnüssen in meinem salzig feuchten Schlafsack und bestaunte die lange Küstenlinie Kolumbiens. Dieser Moment war pure Magie und ist tief in meiner Erinnerung haften geblieben. Auch die nächsten Worte eines Besatzungsmitglieds werde ich nie vergessen: “Hier steigen Sie aus.”

Das machte keinen Sinn. Weit und breit waren nur Urwald und Strand zu sehen—keine Häuser und schon gar keine Docks. Nur wenige Minuten später legte ein winziges Motorboot an. Mein Motorrad wurde per Flaschenzug über Bord gehievt und nach unten abgeseilt. Dann warf man meine Taschen hinterher und ließ mich an den Handgelenken auch hinunter in das kleine Boot mit zwei fremden Kolumbianern.

An einem einsamen Strandabschnitt—eigentlich nur Sand—setzten sie mich ab … in einem Land, das für seine Guerillakrieger verschrien ist. Ich wusste weder, wo ich war, noch besaß ich irgendeine Möglichkeit der Kommunikation, geschweige denn Passstempel oder Zollpapiere. Der Faktor Abenteuer löste sich gerade in Luft auf und machte schierer Angst und Panik Platz.

Irgendwann hatte ich bei dem vergnüglichen Hüpfen von Insel zu Insel komplett aus den Augen verloren, dass ich mich einer Bande (wenn auch harmloser) kolumbianischer Schmuggler angeschlossen hatte. Das war kein Passagierschiff; mein ausländisches Motorrad und ich selbst waren genauso Schmuggelware wie alles andere.

Glücklicherweise war der Schutzengel der Reisenden, meiner jugendlichen Naivität geschuldet, mir wohlgesonnen. Ein Trampelpfad führte in den Dschungel, jenseits der ersten Baumreihen stieg Rauch auf und am Strand lagen genügend tote Palmwedel herum, um einen Weg durch den Sand zu bahnen. Kurz darauf stieß ich auf ein kolumbianisches Dorf. Die Einwohner waren überrascht, um 7.45 Uhr in der Früh ein blondes Mädchen auf einem tierischen Bike dem Meer entsteigen zu sehen. Sie wiesen mich in die richtige Richtung und das Abenteuer konnte weitergehend.

Dieser Artikel wurde erstmals in der Sommerausgabe 2016 des Overland Journal Europe veröffentlicht. Wort und Bild: Tracy Motz.

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