Aus der Luft kann man nicht erkennen, wem das Land hier unten gehört. Die Festungstürme aus rotem Sandstein, flankiert von hohen Tafelbergen (Mesas) in der Wüste, könnten sowohl Ranch-Land als auch staatlich geschützte Wildnis sein. Alles sah gleich aus. Unser Flugzeug tauchte in eine Lücke eingangs des Fry Canyon im Südosten von Utah, und weiße Canyons pflanzten sich wurmartig unter uns fort. Unsere zweisitzige 1946er Cessna war anfällig für jeden noch so leichten Wechsel der Windrichtung. Wir flogen mit leichtem Gepäck: nur zwei Rucksäcke und ein paar Dinge für die Nacht. Zwischenstopps legten wir jeweils bei den alten Uranminen ein, von denen es hier seit dem Boom im 20. Jahrhundert nur so wimmelt—quasi hausgemachte Infrastruktur. Wir befanden uns nicht auf einer Mission—nur zwei Freunde, die in einer idyllischen Landschaft umherzogen, der anstehende Veränderung drohte.
In den 1940er Jahren begann man mit dem Schürfen von Uranerz, “yellow cake” genannt, aus Bohrlöchern und Schächten in diesem Teil Utahs. Zwischen 1946 und 1965 wurden im Gebiet des White Canyon, das wir gerade überflogen, ca. 4 Mio. Tonnen Uran gefördert. Man kann hier immer noch Sprengstoffkapseln hinter Felsen und unter rostigen Autowracks finden. Die Minenarbeiter hinterließen Straßen und einsame Landebahnen, welche Mutter Natur langsam wieder zurückerobert. Die Uranminen liegen schon seit Jahrzehnten brach. Jetzt gibt es hier nicht mehr viel zu sehen—vor allem keine Bohrtürme oder schweres Gerät, das sich durch die Klippen frisst. Wir entdeckten nur selten Allrad-geeignete Wege oder Pisten, und noch weniger Zäune.
Die meisten Landebahnen, die wir ansteuerten, wurden vor einem halben Jahrhundert mit Bulldozern planiert. Eine war so holprig, dass wir es erst beim vierten Anflug schafften zu landen; Sand und Steine flogen nur so durch die Gegend, als der Pilot aufdrehte und wieder hochzog, um noch einen Versuch zu starten. Jede Nacht parkten wir das Flugzeug, schlugen unser Camp nahebei auf und kochten am Lagerfeuer unter dem weiten Sternenzelt.
Angesichts der bewaffneten Besetzung eines Naturschutzgebietes unlängst im Osten von Oregon durch eine selbsternannte Miliz—der Streit drehte sich um staatliche Bodenrechte—war ich froh, dass das Land hier nicht in privater Hand lag. Wie so viel im Westen der USA wird dieser Teil Utahs größtenteils von einer Bundesbehörde (BLM) verwaltet. Es wird gemeinhin als öffentliches Land bezeichnet. Mit anderen Worten, wenn das BLM zustimmt, kann man auf diesem Land so ziemlich alles machen. Diese Region der Mesas und Canyons soll nun als nationales Denkmal eingestuft werden, was deren weitere Nutzung einschränken würde: keine Minen mehr—und auch keine Landebahnen.
Andererseits wären, wenn man Wirtschaftsinteressen zuließe, Bohrtürme und weit verzweigte Wegenetze mit Zäunen und Gattern unvermeidlich, um an Erdgas und Teersand für die Ölgewinnung heranzukommen. Sie lagerten in den Eingeweiden der Mesas, könnten im Tagebau gefördert und mit Lkw abtransportiert werden.
Die Industrie, die in den 40er/50er Jahren während des Uran-Booms hier durchkam, bestand hauptsächlich aus Kleinunternehmern. Der Bedarf an Ölsandgewinnung übersteigt alles, was sich diese frühen Schürfer vorstellen konnten. Sollte diese Region erneut vom Tagebau heimgesucht werden, würde es nicht so glimpflich ausgehen—das Land würde bis zur Unkenntlichkeit ausgebeutet werden.
Sinkend und wieder nach oben schnellend stieg das Flugzeug in der böigen Morgenluft allmählich bis auf eine Höhe von 600 m. Die stark verästelten Schluchten von Cedar Mesa breiteten sich unter uns aus. Erinnerungen aus Jahrzehnten des Reisens in diesen Canyons wurden lebendig, wie die Kurven und Schattenbilder auf den steilen Felswänden. Das meilenweite fraktale Deckgestein birgt antike Ruinen, 1000 Jahre alte Getreidespeicher aus Stein und Mörtel, und Höhlenbehausungen—weitere Gründe, warum das Gebiet hier geschützt werden sollte. Ich entsinne mich auch des Bodens, übersät mit farbigen Handabdrücken und aufwendig gestalteten präkolumbianischen Tonscherben—dieser Ort ist ein Museum! Stammesmitglieder der Navajo, Hopi, Ute und Zuni bemühen sich in noch nie dagewesener Allianz, die Stätten ihrer Vorfahren vor einer möglichen industriellen Verwertung zu retten.
Bears Ears wurde nach zwei Bergkuppen benannt, die sich wie Bärenohren aus der Landschaft erheben. Der Status als nationales Kulturdenkmal soll alle Canyons, Felsbrocken und Ruinen umfassen, die wir überflogen haben—letztendlich ein Naturschutzpark von 5 Mio. km2. Als Befürworter habe ich Artikel publiziert und an einem Dokumentarfilm mitgewirkt. Während ich darauf warte, dass Präsident Obama noch vor dem Ende seiner letzten Amtszeit seine Zustimmung gibt, fühle ich mich zugleich unbehaglich bei dem Gedanken. Es könnte die einzige Möglichkeit sein, diese epische und wahrlich monumentale Landschaft zu erhalten. Viel lieber jedoch sähe ich kein Denkmal, keine Hinweise auf obligatorische Wanderwege und vor allem keine Infokioske. Ich liebe das Land so wie es ist, aus Sicht eines altmodischen 150 PS Flugzeugs, die Tragflächen mit Tuch bespannt, aus der Zeit des ersten Uranabbaus. Aber wer bin ich schon, dass ich anderen den Zutritt verwehren könnte? Ein Denkmal ist das geringere Übel und hat daher meine volle Unterstützung.
Einige der Pisten bin ich bereits gefahren. Ein Freund besitzt einen technisch gut bestückten Serie Land Rover, mit dem wir die letzten Uranstraßen aufspürten. Um Felsbrocken herum, die im Weg lagen, stapelten wir Steine als Rampe und kletterten darüber wie die Krebse, die Räder standen in alle Richtungen. Einmal mußten wir den Wagen zurücklassen und die verschachtelten Canyons zu Fuß erkunden; mit unseren Rucksäcken folgten wir dem Gelände auf einem nicht erkennbaren Trail, schliefen in trockenen Nischen und kletterten am Rand der steilen Klippen entlang. Wo Räder uns nicht trugen, verließen wir uns auf unsere Beine.
Jeder Blick aus dem Flugzeugfenster birgt Erinnerungen. Gern würde ich die Zeit anhalten. Aber wir fliegen immer weiter, und die Schluchten nehmen kein Ende. Ich bin gespannt, was als nächstes kommt.
Dieser Artikel wurde erstmals in der Sommerausgabe 2016 des Overland Journal Europe veröffentlicht.
Text: Craig Childs
Bilder: Sinuhe Xavier
Anm.d.Red.:
Umweltbewusstes fahrzeugbasiertes Reisen haben wir uns schon immer auf die Fahne geschrieben, letztendlich um die entlegenen Gegenden, die wir erforschen, zu schützen und zu erhalten—sowie erholungs- und abenteuersuchenden Allradlern und Motorradfahrern näher zu bringen. National Monuments erlaubt Freizeitaktivitäten und ist für Fahrzeuge zugänglich, schließt aber zum Schutz der Wildnis jede kommerzielle Nutzung der öffentlichen Flächen aus—und das wollen wir doch alle.