Suche
Close this search box.
Georgia: awe-inspiring

Georgien Atemberaubende Landschaften und eine der gefährlichsten Straßen der Welt

Sprache wechseln Englisch

Geheimtipp Georgien! Unser Abenteuer beginnt von Deutschland aus über Österreich, Slovenien, Kroatien, Bosnien, Montenegro, Albanien, Griechenland, Türkei nach Georgien in unserer Mercedes-Benz G-Klasse Baujahr 2003. An Bord sind meine Frau Kristin, unsere Kinder Julius und Luisa, unser Hund Zeus und natürlich ich, Benyamin.

Wir reisen seit Jahren mit dem Dachzelt, ganz minimalistisch. Die Natur ist unser Wohnzimmer, Kinderzimmer, Küche und Badezimmer. Wir suchen wilde, entlegene Länder, um dem Massentourismus zu entfliehen. Georgien bietet sich hierfür an und stand schon sehr lange auf unserer Wunschliste. Im Sommer 2022 ist es soweit, Georgien wir kommen.

Georgien ist ein Paradies für Overlander. Du kannst fast überall fahren und campen

Wir reisen über die Türkei ein. Die Einreise ist unkompliziert, wenn auch sehr, sehr langwierig. Wir sitzen 3,5 Stunden in unserem Fahrzeug und warten auf die Abfertigung. Das ist nichts Neues für uns, in Marokko kann das Grenzprozedere auch schon mal 6 Stunden dauern.

Wichtig für die Einreise nach Georgien ist, du musst eine Versicherung für dein Fahrzeug abschließen. Am Besten schließt du die Versicherung bereits im Vorfeld online ab!

Wir fahren an Batumi vorbei in Richtung Tiflis. Unser erstes Ziel ist der Waschlowani-Nationalpark im Südosten Georgiens. Vashlovanis bedeutet übersetzt Apfelgarten—wir haben allerdings keinen einzigen Apfelbaum gesehen.

Eine kleine Naturbrücke führt über das trockene Flussbett
Kind müsste man sein
Zwischen den Hochgebirgen des Großen Kaukasus im Norden und des Kleinen Kaukasus im Süden erstreckt sich die Kolchische Tiefebene im Westen und die Transkaukasische Senke im Osten

Da der Nationalpark entlang der Grenze zur Aserbaidschan liegt, musst du dich bei den Behörden registrieren. Nachdem die erforderlichen Gebühren entrichtet sind, geht es zu einer Polizeistation, die das Dokument offiziell abstempelt. Dieses mussten wir immer wieder bei den verschiedenen Grenzposten vorzeigen.

Endlich geht es los, wir machen uns auf den Weg in den Park und kommen nach ein paar Kilometern zum ersten Grenzposten. Die Ranger begrüßen uns und wollen die Unterlagen sehen; diese sind in Ordnung und wir dürfen passieren. Alle Ranger, denen wir begegnet sind, waren freundlich und hilfsbereit.

Wir fahren als erstes die Kilakupra Road zu den Schlammvulkanen. Die kleinen blubbernden Vulkane spucken grauen Schlamm aus…oder schwarzes Öl…oder beides. Es entstehen dadurch einzigartige und schöne Muster an der Oberfläche.

Diese kleinen blubbernden Vulkane spucken grauen Schlamm aus…oder schwarzes Öl…oder beides

Man sollte allerdings nicht zu weit auf das Feld hinauslaufen. Ein Freund versank plötzlich direkt vor unseren Augen und konnte gerade noch von uns herausgezogen werden. Zum Glück sind diese Vulkane nicht heiß; es ist eher eine sehr matschige Angelegenheit, wie unser Freund erfahren musste.

Die Vulkane befinden sich auf einer Anhöhe; von dort aus entdecken wir in der Ferne einen riesigen Schlammvulkan. Klar war, wir müssen dahin und uns das aus der Nähe anschauen. Also fahren wir los und sind in Richtung Vulkan unterwegs. Entgegen unseren Erwartungen sah der Vulkan aus nächster Näher allerdings nicht mehr so spektakulär aus.

Wir beschließen, der Straße geradeaus zu folgen. Plötzlich sehen wir eine Militärpatrouille, die uns mit Vollspeed entgegen kommt. Sie signalisieren uns, anzuhalten. Wir bleiben stehen und warten ab. Die Patrouille teilt uns mit, dass wir auf direktem Weg auf die Grenze zu Aserbaidschan zusteuern. Erfahrungsgemäß würden die Grenzposten der Aserbaidschaner erst schießen und dann Fragen stellen. Das ist für uns ein sehr gutes Argument umzudrehen. Die freundliche Patrouille eskortiert uns bis zur nächsten Base.

Auf einmal, wie aus dem Nichts, kamen uns Wildpferde entgegen galoppiert

Von dort aus fahren wir die Iormuganlo-Taribana Road weiter. Auf einmal, wie aus dem Nichts, kommen uns Wildpferde entgegen galoppiert. Ein unglaubliches Spektakel.

Wir folgen einem Tal entlang des Iori River und durch ein ausgetrocknetes Flussbett. Die Landschaft verändert sich alle paar Meter, immer wieder tauchen Oasen auf, Berge, Steppe, Mondlandschaften. Es ist unglaublich, wie vielfältig und schön diese Region ist. Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus und denken immer wieder, dass wir jetzt gewiß das letzte Highlight gesehen haben. Aber es hört einfach nicht auf. Plötzlich sind wir auf einem Plateau, von dem man bis zum Kaspischen Meer sehen kann.

Ich kann mich wirklich nur wiederholen—Georgien ist ein absoluter Traum für Overlander. Man kann fast überall campen und fahren.

Overlanding Paradies

Was man nicht unterschätzen darf: Man sollte ausreichend Wasser, Nahrung und Treibstoff dabei haben, denn im Park gibt es weit und breit keine Möglichkeit, Vorräte aufzustocken. Dafür bietet der Park eine erstaunliche Vielfalt an Wildtieren, wie zum Beispiel Antilopen, Hyänen, Leoparden, Bären, Kaukasus-Agamen. Die Landschaft erinnert uns stark an Afrika. Wir kommen aus dem Staunen einfach nicht heraus.

Im Waschlowani-Nationalpark begegnen wir kaum anderen Menschen; die Wege sind nur mit 4×4 zu meistern, viele ausgewaschene Straßen, Verwindungen und jede Menge staubige Pisten.

Entlang des Flusses Iori durch seine vielfältigen Landschaften

Es geht weiter, wir sind auf der Suche nach einen Camp Spot und fahren entlang einer Kammstraße, mitten im Nirgendwo. Auf einmal tauchen ca. 20 Einheimische direkt vor uns auf, die uns lautstark begrüßen, uns anhalten und auffordern auszusteigen. Schnell wird klar, hier ist gerade eine Party im Gange. Es wird getanzt, gesungen, getrunken und gegessen—wir werden sofort in das Geschehen integriert wie alte Freunde und erleben die unglaubliche Gastfreundschaft der Georgen.

Wir werden verköstigt, und natürlich gibt es selbstgemachten Wein und Schnaps. Georgien gilt als das Ursprungsland des Weinbaus, eine Tradition, die über 8.000 Jahre zurückreicht. Es stellt sich heraus, dass es Ranger des Parks sind, die mit ihren Freunden und Familien auf diesem Berg feiern. Je länger der Abend, desto wilder die Party. Die Gastgeber laden uns am Ende zu sich nach Hause ein. Wir lehnen dankend ab, wir haben ja alles dabei, um unser Camp aufzuschlagen.

Am nächsten Tag fahren wir weiter zu Luca, einem der Einheimischen von der Party. Er hatte uns am Abend erzählt, dass er einen kleinen Supermarkt besitzt. Wir müssen sowieso Proviant ersetzen, und ich hatte ihm versprochen, dass wir bei ihm einkaufen werden. An Lucas Supermarkt angekommen, spendiert er uns ein Eis und schenkt uns noch eine Flasche georgischen Brandy zu unseren Einkäufen dazu. Luca verrät uns außerdem noch einen Geheimtipp, in der Nähe sei eine alte, verlassene russische Air Base.

Wir sind neugierig und wollen uns das anschauen. Wir finden die Reste eines MIG-21 Kampfjets; die Hangars werden mittlerweile von den Landwirten als Getreidelager oder als Garage verwendet. Wir entdecken eine Statue, deren Gesicht unkenntlich gemacht ist. Vermutlich handelt es sich hierbei um Stalin, es bleibt allerdings bei der Vermutung, sicher sein können wir uns nicht.

Die Hangars werden mittlerweile als Getreidelager oder als Garage verwendet
Auf einer verlassenen russischen Air Base fanden wir Überbleibsel einer MIG-21
Tuschetien ist eine historische Region in Ost-Georgien, an den Südhängen des Kaukasus-Gebirges bis zu einer Höhe von 4.800 Metern

Die Reise geht weiter, unser nächstes Ziel ist der Nationalpark Tuscheti. Dort befindet sich eine der gefährlichsten Straßen der Welt—und wir wollen uns selbst davon überzeugen, ob sie ihrem Ruf gerecht wird.

Zu Beginn ist die Straße unspektakulär, raue Schotterpisten mit Schlaglöchern ähnlich wie in den Westalpen. Nach einigen Kilometern wird es dann doch immer beeindruckender, spannender und enger…verdammt eng. Uns erwarten viele Passagen, wo keine zwei Pkws aneinander vorbeikommen, und es gibt keine Leitplanken, wir müssen immer wieder rückwärts fahren, um andere vorbeizulassen. Das ist nichts für schwache Nerven und Menschen mit Höhenangst.

An ihrer höchsten Stelle liegt die Gebirgsstraße 2.926 Meter über dem Meeresspiegel. Der Begriff Straße ist eine maßlose Übertreibung, da sie kaum mehr als ein in den Berg gefräster, unbefestigter Pfad ist. Wir befinden uns auf dem berühmten Abano Pass, dem höchsten befahrbaren Pass in ganz Georgien und eine der gefährlichsten Routen der Welt. Im Winter ist die Route sechs Monate lang nicht passierbar, aber es ist der einzige Weg, der nach Tuschetien führt.

Im Nationalpark Tuscheti befindet sich eine der gefährlichsten Straßen der Welt

Auf dem Weg sehen wir immer wieder Grabsteine von verunglückten Menschen. Ich habe nicht gezählt, aber es sind wirklich einige. Man erklärt uns, dass gerade bei starkem Regen immer wieder Hänge abrutschen und Menschen in den Tot reißen. Alljährlich lassen zehn bis 12 Personen auf diesem Pass ihr Leben.

Auf der gesamten Strecke sehen wir immer wieder Planierraupen, welche die Straßen freiräumen müssen. Diese Straße sollte man nicht unterschätzen, Allrad ist nicht unbedingt erforderlich, aber sehr viel fahrerisches Können!

Ab der Hälfte des Weges in Richtung Omalo wird es extrem hoch. Das ist schon irre: Auf einer Straße, die kaum breit genug für ein Auto ist, können dir kleinere Transporter oder Offroad-Fahrzeuge entgegen kommen. Noch heftiger wird es, wenn Lkws auf dich zu fahren—da reicht es nicht, den Spiegel einzuklappen. Und keinerlei Leitplanken, du fährst direkt am Abgrund; wenn du nicht aufpasst, stürzt du bis zu 800 Meter in die Tiefe. Das verursacht schon ein mulmiges Gefühl. Ich bin tatsächlich etwas ins Schwitzen gekommen, aber am Ende ging es trotzdem gut aus. Du lernst auf jeden Fall dein Fahrzeug sehr gut kennen.

An einem Wasserfall, an dem wir gerade Mittagspause machen, haben Einheimische eine Panne. Ein Reifen ist an der Flanke beschädigt und der Ersatzreifen nicht zu gebrauchen. Ich biete meine Hilfe an—ich habe ein wenig Erfahrung mit Reifenreparaturen an der Flanke, nachdem ich bereits einige Male einen solchen Notfall selbst erlebte.

Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, wird man in der Not erfinderisch: In der Flanke ist ein drei Zentimeter langer Schnitt, den ich mit diesen Gummi-Würstchen, die jeder Offroader kennt, flicke. Die Reparatur ist erfolgreich. Der Sohn des Fahrers, Georgi, teilt mir das später über Instagram mit und spricht seine unendliche Dankbarkeit aus.

Zu Beginn ist die Straße unspektakulär, raue Schotterpisten mit Schlaglöchern ähnlich wie in den Westalpen. Nach einigen Kilometern wird es spannender und enger…verdammt eng.

Als wir nach anderthalb Tagen endlich in Omalo ankommen, fragen wir uns, wie die Menschen hier, die Tuschen, überhaupt leben können. In ferner Vergangenheit war Tuschetien ein Zufluchtsort für unterdrückte Minderheiten, die damals vor religiöser Verfolgung oder aus Angst vor der Christianisierung flohen. Die meisten Menschen in Tuschetien glauben auch heute noch an Formen des schamanistischen Animismus und Heidentums. Die Straße, die wir gefahren sind, ist der einzige Zugang dorthin. Es erinnert an eine vergessene Welt. Hunderte wilde Pferde rennen frei umher. Ein Paradis für meine Tochter, sie liebt Pferde über alles und ist im siebten Himmel.

Wir machen Mittag in einem Waldstück, meine Kinder erkunden die Gegend. Plötzlich kommt mein Sohn zu mir und sagt, er habe ein Maschinengewehr gefunden. Ich lache ungläubig und folge ihm, tatsächlich hat er eine Waffe gefunden! Zwar kein Maschinengewehr, aber eine Remington 870 Express Pump Gun. Erst denken wir, nur schnell weg hier! Dann überlege ich, wir müssen die Waffe zur Polizei bringen. Die Waffe ist gesichert und entladen, lehnt wie vergessen an einem Baum. Okay, das ist schon echt merkwürdig!

Nach ein paar Minuten kommt ein Mann auf seinem Quad angeschossen. Komplett aufgelöst und außer Atem, steigt er ab und fängt sofort an zu suchen. Wir beobachten das Ganze. Irgendwann frage ich ihn, ob er etwas Bestimmtes sucht, und zeige ihm die Waffe. Man merkt sofort, wie sich seine Stimmung schlagartig verbessert. Er erklärt, dass er mit seinen Freunden auf der Jagd ist und sie die Waffe morgens in der Hektik vergessen haben. Ein Missverständnis unter Freunden, jeder dachte, der andere hätte sie eingepackt. Wir lachen herzlich, er freut sich und wir verabschieden uns.

Weiter geht es in Richtung Dartlo, entlang eines Flusses. Immer wieder blockieren Hirten mit ihren riesigen Schafherden die Straßen; gekonnt leiten sie die Tiere um und wir können ohne große Wartezeiten weiter in Richtung Girevi fahren.

Sonnenuntergang im Waschlowani-Nationalpark

Meine georgische Prepaid-Karte ist plötzlich leer. Ich habe kein Datenvolumen mehr, und weit und breit gibt es keine Möglichkeit, die Karte aufzuladen. Ich schreibe in einem Café mit WLAN Georgi über Instagram an, das ist der Sohn von dem Mann mit der Reifenpanne. Ich frage ihn, ob er mein Datenvolumen erneuern und ich ihm das Geld via PayPal zukommen lassen kann. Er erledigt das sofort und besteht darauf, die Kosten zu übernehmen. Natürlich freue ich mich sehr darüber. Jetzt können wir wieder Musik streamen. Es ist verrückt, dass wir fast überall eine gute Datenverbindung haben.

Mittlerweile sind wir in Girevi, direkt an der tschetschenischen Grenze (Russland), angekommen. Am nächsten Morgen wandere ich zu Fuß in Richtung russische Grenze, um mir die Gegend anzuschauen—und etwas Bewegung nach all der Fahrerei schadet sicher auch nicht.

Auf dem Rückweg begegnen mir am Steilhang Kühe und Schafe. Überall sind große schwarze Wehrtürme der ansässigen Tuschen. Diese Türme sind total bizarr, es kommt einem so vor, als wäre man gerade in einer Szene von Der Herr der Ringe unterwegs. Ein Mix aus Island und Dolomiten. Es ist eine Zeitreise, hier ist die Zeit wirklich stehengeblieben. Die Steintürme sind bis zu 30 Meter hoch und sehenswert, besonders wenn man weiß, sie waren der erste Schutzwall gegen wilde Tschetschenenhorden, die bis in die 1920er Jahre Überfälle und Rachefeldzüge in Tuschetien verübten. Man fragt sich, wie diese Türme der Natur seit Jahrhunderten trotzen können.

Überall sind große schwarze Wehrtürme der ansässigen Tuschen:
Die Inguschen und Wainachen errichteten die Bauwerke in der Antike und Hunderte von ihnen sind noch intakt

Hier befindet sich im übrigen Europas höchst gelegenes Dorf, Ushguli, mit Blick auf den höchsten Berg Georgiens, Schchara, der mit 5.201 Metern auch der dritthöchste Berg des Großen Kaukasus ist.

Wir machen uns mit diesen schier unglaublichen Eindrücken auf den Heimweg. Wildes, wundervolles Georgien! Wir sehen uns ganz sicher wieder, das ist gewiss, denn es gibt noch so viel zu entdecken.

Text und Bilder: Benjamin Senkal

Immer ein Auge auf das Lagerfeuer haben und nicht vergessen, es anschließend zu löschen
Auf dem Rückweg begegneten mir am Steilhang Kühe und Schafe

Dieser Artikel erschien zuerst in der Herbstausgabe 2022 des Overland Journal Europe.

Picture of Overland Europe Contributor

Overland Europe Contributor

VERWANDTE POSTS