Tage 61-62
Daten: 10. – 11. August
Tjuntjuntjara
Gesamtdistanz 2023: 3.830 km
Gesamtdistanz (2021/2023): 5.358 km
Trackingkarte: https://z6z.co/breaking-the-cycle-australia/ (Zugang zur Trackingkarte für die Reise 2021/23)
Bei der Organisation dieser Expedition erfuhr ich von dem Volk der Spinifex oder Anangu, deren Heimat die Great Victoria-Wüste ist. Diese Menschen wurden von Atomwaffentests (Emu und Maralinga) und Missionaren vertrieben. Ich war fasziniert von ihrer Geschichte der selbstbestimmten Rückkehr in ihre Heimat und wollte mehr darüber erfahren.
VORGESCHICHTE
Tjuntjuntjara, wo die Spinifex People jetzt leben, liegt 650 km nordöstlich von Kalgoorlie und ist eine der abgelegensten Gemeinden Australiens. Tjuntjuntjara ist eine geschlossene Gemeinschaft, aber nach monatelangem Bemühen konnte ich eine Verbindung mit dem Leiter der PTAC (Pauplyala Tjarutja Aboriginal Corporation) herstellen und unser Besuch wurde von den Ältesten genehmigt.
Die Spinifex People leben seit über 600 Generationen in der Great Victoria-Wüste, wissenschaftliche Beweise reichen 25.000 Jahre zurück. Erst vor wenigen Generationen ließen sich Missionare am Rande der Great Victoria-Wüste nieder. Das 1939 gegründete Cundeelee-Reservat sollte das Volk der Spinifex von der transaustralischen Eisenbahnstrecke fernhalten; seit 1950 ist Cundeelee offiziell eine Mission. Zu jener Zeit begannen die Briten ihre Atomwaffentests in Maralinga, einem Teil der Heimat der Spinifex. Bis 1952 wurden etwa 130 Menschen aus ihrer Heimat nach Cundeelee umgesiedelt.

1976 lebten 250 Spinifex People und 50 Europäer in Cundeelee. Es gab eine Schule, einen Laden, ein Büro, eine Küche und Häuser für Mitarbeiter. Die Aborigines lebten in “Bush Camps”, die um die Siedlung herum errichtet worden waren.
Mitte der 1980er wurde Cundeelee wegen Wassermangels geschlossen und die Menschen zogen in die neu gegründete Stadt Coonana, ehemals eine Viehstation. Die Spinifex People wollten zurück in die Great Victoria-Wüste, aber der Wunsch wurde von der Regierung ignoriert. Als die Regierung die finanzielle Unterstützung einstellte, wurde Coonana 2013 geschlossen.
Die “Homeland Return”-Bewegung nahm 1984 ihren Anfang, als eine Gruppe zum Double Pump-Bohrloch aufbrach und in der Nullarbor-Ebene campte. Schließlich wurde die Finanzierung des Bohrlochs bei Yakatunya, an der Südgrenze zum Spinifex Country, bewilligt. 1985/86 erhielten die Spinifex People eine Entschädigung für die britischen Atomtests. Mit diesem Geld bauten sie Brunnen und Landebahnen in Tjuntjuntjara und Ilkurlka und legten 500 km Pisten durch das Herz ihres Landes an. Im Jahr 2000 wurde ihnen unter dem Native Title Act ein 55.000 m² großes Gebiet in der Great Victoria-Wüste formal zuerkannt.
Great Victoria Desert ist extrem abgelegen (wie ich auf dem Anne Beadell Highway feststellen konnte) und ungeeignet für Viehzucht oder Bergbau, sodass der Kontakt zwischen weißen Siedlern und den einheimischen Aborigines viel später stattfand als anderswo in Australien. Die Spinifex People wurden weder konsultiert noch gewarnt oder evakuiert, als 1947 Raketen vom südaustralischen Woomera aus über das Gebiet abgefeuert wurden und 1953 Atombombentests Emu und Maralinga erschütterten.
Als ich mit meinem Team am 9. August abends ankam, führte uns der stellvertretende Leiter der Gemeinde, Jon Lark, durch die staubigen Straßen—wobei ich einer Hundemeute ausweichen musste—zu “The Barn”, einer Unterkunft für Besucher, die uns von der Gemeinde für zwei Tage zur Verfügung gestellt wurde.
Am nächsten Tag nahmen Mark und ich an einer Exkursion des “Women’s Ranger Programme” teil, die von Nadia organisiert wurde. Dieses Programm stellt sicher, dass Frauen in die traditionelle und nachhaltige Bewirtschaftung ihres Landes einbezogen werden und durch das Erzählen von Geschichten und gemeinsame Aktivitäten kulturell zusammenwachsen. Das Ranger-Programm wird ständig weiterentwickelt und gilt als unverzichtbar, um Männer und Frauen auf die Zukunft vorzubereiten, ihre Kultur zu bewahren und soziale Unterstützung zu bieten.

Wir fuhren etwa 30 km auf schmalen Pisten zu einem Salzsee. Ich half den Frauen, Brennholz für ein Feuer zu sammeln und eines ihrer Lieblingsgerichte zuzubereiten: Känguruschwänze. Eine gute Gelegenheit, sich zu unterhalten und einige von ihnen näher kennenzulernen. Ich unterhielt mich besonders gern mit den Ältesten, Ursula und Shona.


Tjuntjuntjara hat nur ca. 200 Einwohner. Als wir ankamen, waren viele Gemeindemitglieder nicht anwesend, da sie an Beerdigungen teilnahmen. Trotzdem konnten wir von den anderen viel über ihre Lebensweise erfahren und lernen.
Am zweiten Tag unseres Aufenthaltes bot ich an, in der Gemeindeschule einen Vortrag zu halten. Sie wurde 1997 gegründet, nachdem die Gemeinde eine Schule gefordert hatten. Bis dahin mussten die Eltern nach Kalgoorlie oder Coonana ziehen, um ihre Kinder zur Schule schicken zu können. Im ersten Jahr wurde die Schule vom Gemeindeladen finanziert, bis sich schließlich das staatliche Bildungsministerium bereit erklärte, die Schule mitzufinanzieren. Im dritten Jahr erkannte das Bildungsministerium die Schule als wesentlich Einrichtung an und stellte drei Vollzeitlehrer ein. Die Zahl der Schüler lag anfangs bei etwa 15, stieg in der Folge aber auf bis zu 40.
An dem Morgen meines Vortrags waren nur vier Schüler anwesend—viele waren mit ihren Familien unterwegs, um an den Beerdigungen teilzunehmen. Die Kinder waren begeistert, obwohl sie wahrscheinlich zu jung waren, um alles zu verstehen, was ich mit Bildern und Videos illustrierte. Ich hielt den Vortrag im Sitzen in der Bibliothek, und nach etwa der Hälfte der Zeit setzten sie sich zu mir, halfen mir, die Fotos herumzureichen, wollten umarmt werden und spielten mit meinen Haaren, während ich sprach! Nach der Präsentation wollten sie mit mir eine Runde um den Block fahren. Anscheinend hatten sie die Fahrräder als Belohnung für gute Noten im Unterricht bekommen.


Das Spinifex Arts Project findet im Arts Centre statt, das vor etwa zehn Jahren gebaut wurde. Das Projekt wurde 1997 ins Leben gerufen, um die Besitzverhältnisse im Spinifex-Gebiet auf der westaustralischen Seite der Great Victorian Desert zu dokumentieren, bevor die Aborigines erfolgreich ihren Anspruch auf das Land geltend machten. Das Spinifex-Volk ist für wichtige Geschichten verantwortlich, die sich um das Land drehen und eine strikte Einhaltung komplexer Traditionen erfordern. Die Feldmalerei ist eng mit ihrer Kultur verbunden und dient der Erhaltung dieser Kultur in der Western Desert.
Männer und Frauen malen unterschiedliche Motive. Die Bilder der Frauen sind in der Regel sehr farbenfroh, während die Werke der Männer nur aus wenigen Farben bestehen.
Mark und ich konnten nur das Ende einer Malstunde miterleben (Freitage sind halbe Tage) und hätten gerne mehr Zeit gehabt. Wir hatten das Glück, einige hoch angesehene Ältere und den bekannten Künstler Timo Hogan zu treffen, der 2021 den Telstra-Preis gewonnen hat.

Am meisten beeindruckt hat mich die Begegnung mit zwei Mitgliedern der Familie Rictor, den letzten australischen Nomaden. Im Jahr 1986 verließen Noli und sein Bruder Kunmanara (so wird jeder genannt, der einen nahen Verwandten verloren hat; es ist nicht sein Vorname) zusammen mit fünf weiteren Familienmitgliedern die Wüste und gaben das traditionelle Nomadenleben auf. Einige der Ältesten entdeckten sie im Buschland in der Nähe von Ilkurlka.
Die Brüder hatten die ganze Zeit still und intensiv in einer Ecke des Kunstzentrums an ihren unglaublichen Kunstwerken gearbeitet, aber kurz vor Ende der Sitzung erklärten sie sich bereit, uns zu treffen.

Vor allem Noli sprach sehr leise—er war schüchtern, traute sich nicht, Englisch zu sprechen, wollte aber eine Verbindung herstellen. Ich war überwältigt und unglaublich bewegt, als ich neben ihm saß, während er in einem Kunstbuch blätterte, um Mark und mir Werke seiner Familie zu zeigen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer die Umstellung für sie gewesen sein muss, zuerst nackt von der Erde zu leben und dann langsam in eine ganz andere Welt zu gleiten. Ich habe mich gefragt, wie sie die Welt sehen. Ihre Wahrnehmung ist so ganz anders als unsere. Die Kunst spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben, während sie sich an das Leben in einer Gemeinschaft anpassen.

Nachmittags nahm Jon Lark Mark und mich zu einen der beiden alten Armee-Trucks mit, die für den Transport von Baumaterial und Menschen von Coonana zum Aufbau der neuen Gemeinde in Tjuntjuntjara verwendet wurden. Jon und sein Freund Ian Baird halfen bei den Umsiedlungen von Cundeelee zu Coonana und Tjuntjuntjara. Jon spricht ihre Sprache, Pitjantjatjara, und nach fast 40 Jahren des Zusammenlebens mit ihnen (obwohl er von Kangaroo Island in Südaustralien stammt) wissen nur wenige Nicht-Aborigines mehr über die Spinifex-Kultur als Jon. Während unseres Gesprächs betonte Jon, wie stark der Geist und die Kultur der Spinifex-Gemeinschaft sind. Der Umzug nach Tjuntjuntjara war so erfolgreich, weil alle Entscheidungen von der Gemeinschaft getroffen wurden. Der Schlüssel war die starke Führung der Ältesten, die sowohl eine gesunde traditionelle Kultur und Sprache aufrechterhalten als auch die Menschen auf die Welt außerhalb ihrer Gemeinschaft vorbereiten.


DER RATION TREE
Zum Abschied besuchten Mark und ich in Tjuntjuntjara mit einigen Ältesten den Ration Tree. Wie bereits erwähnt, hatten die Missionare am Rande der Great Victoria Desert einen strategisch günstigen Ort an einem Weg gewählt, an dem die Spinifex-Nomaden häufig vorbeikamen, um sie mit Nahrung und Kleidung aus der Wüste zu locken—um sie zum Christentum zu bekehren, sie an einen ganz anderen “australischen” Lebensstil zu gewöhnen und die Wüste für die damals anstehenden Waffentests zu säubern.
Als Nadia fragte, wer von seinen Erfahrungen am Ration Tree berichten wolle, meldeten sich mehrere Älteste. Ich fühlte mich geehrt—sie wollten uns wirklich ihre Geschichte erzählen. Nadia, Mark, Janine (Rangerin) und ich wurden von Byron Brooks, Ned Grant, Maureen Donnegan und Ursula begleitet—die Frauen halfen beim Übersetzen, hielten sich aber im Hintergrund.

Am Ration Tree erinnerte sich Byron, der noch ein Teenager war, als er ihn zum ersten Mal sah, an die Zeit damals. Sie liefen auf ihren üblichen Weg aus der Wüste heraus und sammelten Lebensmittel und Kleidung unter dem Schild ein. Viele seiner Leute lagerten in der Nähe, zahlreiche Lagerfeuer erhellten den Nachthimmel. Dann zeigte er auf einen anderen Weg, der von hier aus nach Westen führte. Das war die Richtung, aus der die Missionare nach Cundeelee kamen. Er erinnerte sich an eine Zugfahrt, bei der manche in einem der Waggons ein Lagerfeuer angezündet hatten, um sich zu wärmen.


Ned musste im Rollstuhl über den Sand gerollt werden. Auch er hatte eine ähnliche Geschichte. Ned meinte, sein traditioneller Glaube sei ihm am wichtigsten, er habe aber trotzdem eine Bibel zu Hause. Mark und ich hatten ihn zuvor im Kulturzentrum getroffen, und er wollte uns seine Geschichte erzählen. Ursula leistete großartige Arbeit, denn sein Englisch war schwer zu verstehen.

Als wir wieder in der Gemeinde ankamen, gab es viel zu verarbeiten. Es waren zwei sehr emotionale Tage für mich gewesen, die wahrscheinlich mein Leben verändern. Aufgrund dieses kleinen Einblicks in die Unterschiede zwischen ihrer und unserer Kultur möchte ich mehr darüber erfahren.

Ich danke der Gemeinschaft, insbesondere den Ältesten, PTAC—Jon Lark, Adam Pennington, Nadia Hamson, Jelaine und Lois—für ihre Gastfreundschaft und dafür, dass sie unseren Aufenthalt in Tjuntjuntjara zu einer ganz besonderen Erfahrung gemacht haben.
