“Herzlich Willkommen an Bord des neuen INEOS Grenadier auf der EXPEDITION 1.0 von Roxburghe Estate in Schottland nach Cartmel Village in England. Unsere Route führt Sie durch die atemberaubende Landschaft der sagenumwobenen Lawless Marches und Debatable Lands mit den Kiefernwäldern und Torfmooren des Kielder Forest, über die Grenze nach England in den Lake District und zu einer abschließenden Fahrt auf der historischen Furt durch die Morecambe Bay. Schließen Sie den Sicherheitsgurt und bringen Sie den Sitz in eine aufrechte Sitzposition. Genießen Sie die Fahrt.”
Besser kann man in zwei Tagen die Qualität und Leistung des INEOS Grenadier nicht erleben. Ich habe mich seit Tagen auf diesen Moment gefreut, nun endlich den Grenadier einmal selbst artgerecht ausführen und erleben zu können. Bisher kannte ich nur die Prototypen, bei denen noch Teile aus dem 3D-Drucker verbaut waren. Damals hat man schon einen guten ersten Eindruck von dem gewonnen, wie er einmal aussehen soll. Nun steht er live in der Farbe Magic Mushroom vor mir, blitzsauber als wäre er gerade erst in Hambach vom Band gelaufen.
Die Form der Karosserie fokussiert die Funktionalität des Fahrzeugs. Klare Kanten, große Übersicht, Böschungs- und Rampenwinkel, hohe Bodenfreiheit, hohe Wattiefe, integrierte Befestigungsschienen in den Seitenflanken und weit zu öffnende Türen lassen keinen Zweifel offen, “get ready for offroad.” Aber ich kann schon ein bisschen spoilern, onroad ist er ebenso gut unterwegs.
Ich öffne die Fahrertür—in diesem Fall auf der rechten Fahrzeugseite, weil wir einen Rechtslenker testen—und setze mich auf den Fahrersitz. Oder sollte ich besser sagen, in den RECARO Pilotensitz? Auffällig ist das einzigartige Cockpit. Der Sitz umschließt mich wie ein Maßanzug oder eine gut sitzende Jacke von Belstaff. Die Seitenwangen bieten einen hervorragenden Seitenhalt.
Links von mir in der Mittelkonsole befinden sich die Schaltung für das achtstufige ZF-Getriebe, das Drehrad zur Bedienung des 12,3”-Touch-Displays für Navigation und Fahrzeuginformationen sowie der Wahlen für die Mitteldifferentialsperre und Untersetzung des Verteilergetriebes.
Im mittleren Bereich der Mittelkonsole entdecke ich, wie gewohnt, die Bedienung der Klimaanlage, Sitzheizung, Scheibenheizung und den Parkassistenten.
Damit aber nicht genug, im Dachbereich gibt es weitere Controls. Hier finde ich die Schalter für den rauen Geländeeinsatz, die Front- und Heckdifferentialsperre, den Offroad- und Wade-Mode, Downhill und Uphill Assist, und solche, mit denen optional erhältliche Außenstromanschlüsse im Dachbereich zu schalten sind.
Nachdem der solide und nicht ganz unbekannte 3-Liter 6 +-Zylinder Benziner mit 286 PS vom Typ B58 aus dem Hause BMW gestartet ist, fahre ich auf die Straße. Zugegeben, das Auto ist jetzt erst einmal zweitrangig. Ich brauche ein paar Minuten und einige Abbiegungen und Kreisverkehre, dann habe ich mich auf den Linksverkehr eingestellt. Trotz seiner rund 2,7 T Leergewicht, bringt der Reihensechszylinder Benziner mit seinem maximalen Drehmoment von rund 450 Nm Leistung und Kraft mit, um die typisch britischen Landstraßen mit viel Spaß flüssig zu befahren. Wer mehr Drehmoment für seinen Einsatz benötigt, kann auf den 3-Liter 6-Zylinder Diesel B57, ebenfalls von BMW, zurückgreifen; mit dessen 550 Nm liegt ausreichend Kraft an, um seine max. Anhängelast von 3,5 T sicher an jedes Ziel zu bringen.
Das Lenkrad liegt sehr griffig in der Hand und verstärkt das Gefühl, sicher jede Fahrsituation meistern zu können. An die Lenkung muss ich mich zu Beginn aber erst gewöhnen. Sie ist nicht so direkt, wie man es vielleicht von einem modernen Fahrzeug gewöhnt ist, aber immer präzise.
Auffällig ist ein kleiner roter Knopf auf dem Lenkrad. Nein, es ist kein Taster für den Booster, sondern die sogenannte Toot-Hupe: eine angenehme und dezente Hupe, um Radfahrer und Fußgänger nicht zu erschrecken, sondern sie freundlich und höflich auf seine Präsenz aufmerksam zu machen.
Nach einem ausgiebigen Straßenabschnitt geht es links ab in die Einfahrt zum majestätischen Floors Castle, das größte bewohnte Schloss Schottlands und ein eleganter Einstieg in den Tag. Hier beginnt die erste Begegnung mit unbefestigtem Gelände. Hinter dem Schloß öffnet sich die Weite der Torfmoore des Kielder Forest. Mit den serienmäßigen BF Goodrich K02 sind die moorigen, lehmigen und schlammigen Passagen aber kein Problem. Das Mitteldifferential habe ich zwischenzeitlich durch Umlegen des Wahlhebels in der Mittelkonsole gesperrt und somit eine feste Kraftverteilung von 50:50 eingestellt.
Nach einem langen Wirtschaftsweg durch das Torfland erreiche ich einen Kiefernwald mit einer serpentinenartigen Bergaufpassage. Zusätzlich sperre ich vorsorglich die Hinterachse über den kleinen Taster in der Dachkonsole und lege die Untersetzung ein. Mit der nun anliegenden 2,5:1 Untersetzung lässt sich der Grenadier noch präziser und gefühlvoller in der Steigung um die Kurve bewegen und die Kraft an den Rädern dosieren. Auf einer mittelsteilen, aber sehr rutschigen Grasabfahrt teste ich den Downhillassistenten. Es ist eine typische Situation, wie sie im Geländeeinsatz selbst auf einem normalen Campingplatz oder jedem Reiterhof vorkommen kann. Ich überlasse dem Fahrzeug die Bremsarbeit, und der Grenadier dankt es mir mit einer schnurgeraden Abfahrt.
Auf einer mittelsteilen, aber sehr rutschigen Grasabfahrt teste ich den Downhillassistenten. Es ist eine typische Situation, wie sie im Geländeeinsatz selbst auf einem normalen Campingplatz oder jedem Reiterhof vorkommen kann. Ich überlasse dem Fahrzeug die Bremsarbeit, und der Grenadier dankt es mir mit einer schnurgeraden Abfahrt.
Nach diesem ersten artgerechten Einsatz hat der Grenadier seine erste Patina erhalten, und ich muss sagen, sie steht ihm gut. Da er im Fußbodenbereich mehrere Auslässe besitzt, kann man ihn einfach mit dem Schlauch ausspritzen und das Wasser ablaufen lassen. Ein weiteres Merkmal, das deutlich macht, dass er sowohl für die Straße als auch den rauen Einsatz gebaut wurde.
Als nächstes geht es wieder auf die Straße, auf kleinen Land- und Nebenstraßen kurvenreich die Hügel hinauf zur Grenze nach England. Wir verlassen Schottland über Waldwege durch den Kielder Forest, dem größten von Menschenhand geschaffenen Waldgebiet, wo Jahrzehnte lang WRC-Rallyeveranstaltungen und die British Rally Championship ausgetragen wurden, bis zum Ullswater, dem zweitgrößten See im Lake District und genau das Revier für ergiebigen Fahrspaß.
Am Ende des ersten Tages muss ich die ganzen Eindrücke erst einmal für mich sortieren und verarbeiten. Der INEOS Grenadier wurde vor fast fünf Jahren auf einer Pfundnote erstmalig skizziert, und jetzt steht er nicht nur da, sondern ist auch bereits ein Serienfahrzeug aus dem Werk in Hambach, nichts mehr aus dem 3D-Drucker, alles serienreif. Aus meiner Sicht sind alle gestellten Anforderungen an Funktionalität und Ausstattung in hohem Maße realisiert worden.
Es gibt aber auch ein paar Kleinigkeiten, die schon am ersten Tag aufgefallen sind, um sie vielleicht später noch einmal umzuarbeiten. Die Bedienung der Schalter und Taster in der Dachkonsole sind zwar gewöhnungsbedürftig, weil vielleicht nicht jeder einen Pilotenschein besitzt, doch sind sie von der Anordnung her gut gewählt. Ich bin leider nicht nur kurzsichtig, sondern auch etwas weitsichtig, und somit Brillenträger. Aus diesem Grund habe ich mich zu Beginn etwas schwer getan, den richtigen Schalter oder Taster zu finden. Ich konnte schlichtweg die Bezeichnung auf dem Bedienfeld nicht entziffern. Nach einem Tag intensiven Fahrens weiß man aber, wo welcher Schalter liegt, und kann ihn dann auch zielsicher bedienen. Die Kontrolllampe auf den Tastern wird während der Bedienung allerdings vom Finger verdeckt. Man muss den Finger immer etwas zur Seite bewegen, damit der aktuelle Zustand der Funktion ersichtlich ist. Alles eine Sache der Übung.
Am zweiten Tag wechsle ich das Fahrzeug, um die zweite Motorvariante, den Reihensechszylinder Diesel aus dem Hause BMW testen zu können. Heute steht unter anderem eine Fahrt durch die Schiefergruben von Burlington auf dem Programm.
Der Zündschlüssel wird links neben dem Lenkrad ins Zündschloss gesteckt. Die Position ist vielleicht etwas unglücklich gewählt, weil bei mir nur knapp 10 cm Platz zum Knie sind. Im Falle eines Verkehrsunfalls könnte ich mir vorstellen, dass ich mit dem Knie dagegen schlagen würde. Man hätte den Zündschlüssel auch versenken oder in der Mittelkonsole montieren können.
Sei’s drum, ich habe immer noch das Grinsen vom Vortag im Gesicht. Es gibt wieder eine längere Onroad-Strecke. Die Straße schlängelt sich um den Ullswater hinauf in die Höhe. Über den Kirkstone Pass hinüber zum Wrynose Pass erreichen wir den Hardknott Pass. Diese Pässe werden als die wildesten Straßen Englands bezeichnet. Es ist genau das richtige Terrain für den Grenadier. Mit Steigungen von bis zu 33% ist der Grenadier nun auch onroad gefordert. Aber auch diese Strecke meistert er gelassen.
Wir nähern uns einem weiteren Highlight, dem Schleifsteinbruch von Burlington. Zwischen den großen Radladern und Dumpern schlängeln wir uns zur Geröllteststrecke. Offroad-Modus und die Untersetzung sind eingeschaltet, und zum Warmup geht es über Schräglagen und Löcher, die von vermeintlichen Elefanten geschaffen wurden. Der Grenadier kann nun mal richtig zeigen, wie er in den Spagat oder besser die Verschränkung gehen kann. Mit fast 60 cm Federweg bringt er von Hause aus hier eine solide Basis mit. Er hebt zwar gerne ein Beinchen nach dem anderen, jedoch ist zu keiner Zeit der Vortrieb unterbrochen. Es fühlt sich am Lenkrad richtig gut an. Ich fühle förmlich, wie er sich langsam in Schrittgeschwindigkeit durch dieses Hindernis zieht.
An der nächsten Möglichkeit biege ich nach links ab und folge dem Weg nach unten. Dort finde ich eine rund 100 m lange, völlig verschlammte Teilstrecke vor. Da ich nicht vorhabe, stecken zu bleiben, schalte ich die Hinterachssperre ein. Somit habe ich die Kraft auf der Hinterachse zu 50% auf jedes Hinterrad verteilt. Das sollte reichen. Ich nehme Schwung und die serienmäßigen BF Goodrich K02 wühlen sich durch den Schlamm. An den Seiten spritzt der Schlamm hoch und die Lackfarbe wird vom einem wunderschönen schlammgrau überdeckt. So sieht der Grenadier richtig wie ein Offroader aus. Die Hinterachssperre kann jetzt wieder ausgeschaltet werden.
Nach dieser Passage geht es mit hoher Geschwindigkeit über einen Versorgungsweg. Auf diesem Teilstück merke ich, dass das Fahrwerk zu jeder Zeit vollen Bodenkontakt hat und ich mich als Fahrer unheimlich sicher fühle. Zu keiner Zeit habe ich das Gefühl, dass sich der Grenadier im Grenzbereich bewegt. Nach einer engen 90°-Kurve geht es fast im 45°-Winkel gefühlt in den Himmel. Zu allem Überfluss beinhaltet diese Steigung noch eine Verschränkung. Zum Testen schalte ich nun nicht nur die Hinterachssperre sondern auch die der Vorderachse ein. Es braucht nicht viel Gas und der Offroader bewegt seine gut 2,7 T auf das höhergelegenen Plateau. Auf diesem “Spielplatz” könnte ich den ganzen Tag verbringen.
Nach dem Reinigen der Scheinwerfer und Scheiben, damit wir wieder sicher am Straßenverkehr teilnehmen können, geht es zu unserem nächsten und leider letzten Ziel. Die Zeit und der Wasserstand sind günstig, sodass wir die einmalige Gelegenheit bekommen, mit dem Grenadier durch die Morecombe Bay fahren zu dürfen. Rund sieben Meilen führt die Strecke über das Watt der Bay. Halten sollte man nur an sicheren Stellen, da das Fahrzeug ansonsten im “flüssigen” Sand einsinken kann. Danke, von eingesunkenen Fahrzeugen kann ich mittlerweile viel erzählen, das möchte ich heute nicht wieder erleben.
Es macht einen Heidenspaß, über Sandbänke und kleine Priele zu fahren. Als Highlight geht es noch durch zwei Flussausläufer, ehe wir dann mit dem Fahrzeug auf der anderen Seite der Bucht ankommen. Damit auf diesen sieben Meilen nicht passiert, haben wir mit dem King’s Guide to the Sands einen Experten dabei, der dieses Teilstück wie seine Westentasche kennt.
Leider neigt sich der Tag dem Ende zu und somit auch meine Testmöglichkeit dieses fantastischen Fahrzeugs. In diesen zwei Tagen konnte der Grenadier tatsächlich zeigen, dass er sich auf der Straße und im rauen Geländeeinsatz wohlfühlt.
FAZIT Die Funktionalität steht spürbar im Fokus. Es gibt keine unnötigen Features oder Kanten. Einen Totwinkelassistenten, Abstandswarner oder eine 360°-Kamerarundumsicht sucht man aktuell noch vergebens in der Preisliste. Diese werden mit ziemlicher Sicherheit im nächsten Update kommen müssen, aber aktuell habe ich sie hier überhaupt nicht vermisst.
Elegant in den Belstaff-Varianten Fieldmaster oder Trialmaster, oder Rough als Grenadier, es ist für jeden Einsatzzweck ein Modell im Programm. Ich persönlich würde in jedem Fall empfehlen, das Elektrozusatzpaket inkl. Zusatzbatterie unter der hinteren Sitzbank und die Sperren für Vorder- und Hinterachse direkt mitzubestellen. Sauberer kann man die Kabel zum Dach nicht verlegen, um für alle Erweiterungen gerüstet zu sein, und mit den beiden zusätzlichen Sperren gibt es nahezu keine Situation, die im Gelände nicht zu meistern wäre.
Wer es noch extremer braucht, der sollte auch die Winde gleich mit einplanen. Sie ist formschön in die vordere Stoßstange eingebaut und derzeit ein Alleinstellungsmerkmal des Grenadier. Sie bietet mit ihren 5,5 T Zugkraft genügend Reserven für die letzten Herausforderungen im Gelände.
Nach einer Eingewöhnungszeit findet man sich im bisher ungewohnten Bedienfeld zurecht und auch schnell den für die entsprechende Situation notwendigen Schalter oder Taster. Die Entwickler haben bewusst auf automatische Geländefahrprogramme verzichtet, was für den Fahrer bedeutet, dass er sich mit dem Gelände, in das er fährt, auch Gedanken über die Auswahl der Sperren, Untersetzung & Co machen muss. Somit bleibt er aufmerksam und konzentrierter, was meiner Ansicht nach zur Folge hat, dass er auch wieder sicher aus dem Gelände oder der Situation herauskommt.
Damit ich als Fahrer aber immer beide Hände am Steuer behalten kann, würde ich mich zukünftig über zwei Paddles am Lenkrad freuen, mit denen ich die Schaltstufe im Gelände manuell wählen könnte. Aktuell ist das nur über den Wahlhebel des Automatikgetriebes möglich.
Werkseitig als Serienausstattung oder optional bietet er mit seinen seitlichen Befestigungsschienen, den Haltepunkten und Kabelanschlüssen am Dach sowie der großen zweiflügeligen, im Verhältnis 30/70 zu öffnenden Hecktüre bereits eine Vielzahl an Möglichkeiten, das Fahrzeug für einen gezielten Einsatzzweck zu individualisieren. Ob Zusatzbeleuchtung, Dachträger, bis hin zum Europalettentransport, die Einsatzmöglichkeiten für Freizeit und gewerblichen Einsatz sind nahezu unbegrenzt. Je nach Ausstattung und Motorwahl steht eine Zuladung bis zu 871 kg zur Verfügung. Das Laderaumvolumen mit bis zu 2.088 Litern bei umgeklappter Rückenlehne ist ebenfalls mehr als ausreichend.
Es waren zwei interessante und herausfordernde Tage, den Grenadier live in Englands wunderschönem Lake District Nationalpark testen zu können. INEOS hat es nicht nur geschafft, mit dem Grenadier seinen in der Planung aufgestellten Anforderungskatalog konsequent umzusetzen, sondern ihn auch ein Stück weit der INEOS-Familie nahezubringen. Von der Typenbezeichnung klassischer Belstaff-Jacken, den grünen und roten Streifen in der Mittelkonsole für Steuer- und Backbord aus der Segelsportambition, bis zur Toot-Hupe als Hommage an den Radsport und den einzelnen Geschichten, die es zu jeder Außenfarbbezeichnung gibt—der Grenadier ist ein Fahrzeug, das spürbar aus einer Leidenschaft heraus entstanden ist.
Gerne hätte ich mir gewünscht, mit ihm die Rückfahrt anzutreten. Im Pilotensitz habe ich ja schließlich schon Platz genommen.
Setzt euch rein, erlebt ihn und genießt eine andere Art, einen Offroader zu fahren. Ich werde tagelang das Grinsen nicht aus meinem Gesicht bekommen.